Die Teilnahme von Marc Kocher am Wiederaufbau des 1996 bis auf die Grundmauern niedergebrannten Opernhauses Gran Teatro La Fenice in Venedig bildet einen Markstein im Schaffen des Architekten und erwies sich als wegweisend für sein weiteres Wirken. In der Auseinandersetzung mit der historischen Oper entwickelte er ein Architekturverständnis, das seine Bauten bis heute beeinflusst.
Der Architekturwettbewerb von 1997 hatte die Vision die Oper einerseits „com’era, dov’era“ („wo sie war und wie sie war“) zu rekonstruieren. Gleichzeitig sollte der neu aufzubauende Komplex den neusten technischen Anforderungen genügen und eines der modernsten Opernhäuser der Welt sein. In diesem Wettbewerb setzte sich zunächst der für Kocher prägende Architekt Aldo Rossi durch. Das Projekt führten dessen Nachfolger, das Architekturbüro Arassociati, weiter.
Im Zentrum seiner Arbeit stand die handwerkliche Umsetzung: die Zeichnung der einzelnen Dekorationselemente in originalgetreuem Maßstab, die später plastisch gestaltet wurden, wobei die vom Feuer nicht zerstörten Bauteile erhalten und integriert wurden. Für die Bearbeitung der Wände legte Kocher sieben verschiedene Farbschichten als Lasuren übereinander, um einen durchscheinenden Effekt der Pastelltöne zu erhalten. Für diese äußerst aufwändige, künstlerische Herangehensweise studierte Kocher über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg intensiv Fotos und Filmdokumente vor Ort.
Handwerkliche Herangehensweise
Zentral für die originalgetreue Rekonstruktion des Gebäudes war die Beschäftigung mit dem klassizistischen Bau von 1790 und dessen »apparato decorativo«. Kocher zeichnete insbesondere für die Wiederherstellung des Wand- und Deckendekors der Sale Apollinee, der Pausensäle, im Inneren des Baus verantwortlich.
Das moderne Opernhaus führt dem Betrachter und Zuhörer visuell die Geschichte des Hauses vor Augen, indem es das historische Gebäude wiederauferstehen lässt. Durch das sensible Vorgehen bei der Integration moderner Technik und der intensiven Auseinandersetzung mit dem Originalentwurf »konnten nun viele der über die Jahrhunderte verlorengegangenen Charakteristika des ursprünglichen Entwurfes von 1790 wieder aufgenommen werden. So zeigt sich das Theater heute zwar in seinem historischen Gewand, doch ist an vereinzelten, wohl ausgewählten Stellen deutlich zu erkennen, dass die Gegenwart, in der es errichtet worden ist, in der Architektur des Theaters reflektiert wird.«
Luigi Monzo: Auf der Suche nach der verlorenen Identität. 17. Januar 2012. luigimonzo.com